Thomas Houseago Paris

Thomas Houseago im Palais de Tokyo, Paris
Die Rückkehr des getriebenen Künstlers
Da kniet er, fast nackt, bedeckt von Schlamm, von Ton, von Erde. Der britische Künstler Thomas Houseago wütet, wühlt im Ton, stürmt mit der Kreissäge los auf das Holz. Er erschafft Skulpturen von archaischer Wucht, zerrissene menschliche Schemen zwischen Antike und Apokalypse, zwischen Deformation, Zerbrechlichkeit und monumentaler Größe. Houseago gehört zu den Shooting Stars der Kunstszene im neuen Jahrtausend, ist einer, der den Mythos vom leidgeplagten, ursprünglichen Künstler mit Macht wieder aufruft, und ist nun, im Musée d‘Art Moderne im Palais de Tokyo in Paris, mit einer Retrospektive zu sehen.
Rund zehn Jahre sind vergangen, seitdem Thomas Houseago zur Sensation wurde: ein Künstler, der zuvor vergeblich in Europa um Anerkennung gekämpft, seine Heimat schließlich verlassen hatte, nach Los Angeles gezogen war. Dort öffneten sich ihm wie durch Wunderhand die Galerien. Wenige Jahre, nachdem er ganz unten war, war er ganz oben: der Milliardär François-Henri Pinault, Eigentümer auch des Auktionshauses Christie‘s, ließ Houseagos Bronze „L‘homme pressé“, eine Replik auf Giacometti, vor dem Palazzo Grassi in Venedig aufstellen, mitten im Canale Grande, machte sie so zum Wahrzeichen der Biennale. Houseago bestritt zahlreiche Ausstellungen gleichzeitig, wurde von mehreren Galerien vertreten. Er war 39 Jahre alt. Heute ist er 47.
In Interviews erzählt Thomas Houseago gerne von seiner Kindheit im britischen Leeds, von Trostlosigkeit, Pubs, Schlägereien, seinem schizophrenen Vater, seinen eigenen Traumata, seiner Erlösung durch die Kunst: ein Zufall war es, der ihn auf den späten Picasso, auf Joseph Beuys stoßen ließ. Er beschloss Künstler zu werden, kämpfte. Seine Kunst war das Gegenteil der akademischen, intellektuellen, abgeklärten: rasend wie ein hyperaktives Kind arbeitete er in seinem weitläufigen Atelier in Los Angeles, reicherte sein Bildrepertoire an nicht nur durch Bezüge auf die klassische Moderne sondern auch auf Science-Fiction-Filme wie „Star Wars“ und „Close Encounters of the third kind“, auf Superhelden, Superschurken. Thomas Houseago war der Berserker, auf den der Kunstmarkt wartete; seine Skulpturen schienen vor Emotion, roher Empfindsamkeit zu bersten.

In den Jahren vor seinem Durchbruch verwendete Houseago einfachste Materialien; heute lässt er seine Werke in Bronze gießen. Der Schauspieler Brad Pitt und Flea, Bassist der Red Hot Chili Peppers, gehören zu seinen Freunden, schrieben Beiträge zum Katalog der Pariser Ausstellung; der Jazzmusiker Kamasi Washington widmete ihm eine Komposition. Houseago ist angekommen. Er arbeitet weiter, predigt in Videos unermüdliche die Kraft der Kunst. Das Palais de Tokio indes präsentiert den Rückblick auf eine erstaunlichen Karriere, der ungemein beeindruckt in seiner Dichte, Vielfalt, mit dem gewaltigen Ausdrucksbedürfnis, von dem jedes der Werke spricht.

„Almost human“ - so ist diese Schau betitelt. Sie beginnt bereits im Hof des neoklassizistischen Museumsbaus – dort spiegelt sich die „Striding Figure II (Ghost)“ im Wasser eines eingefassten Teichs, eine gespenstische Figur in der Tat, ein wucherndes Gerippe mit einem formlos schattenhaften Kopf, ein Skelett, an dem Fetzen tönernen Fleisches hängen, das Kind vielleicht, das eine Heldenstatue mit einer Untoten aus dem Programm der Streaming-Diente zeugte. Entwickelt der Katalog der Ausstellung Thomas Houseagos Welt nahezu chronologisch, begonnen mit seiner „Pink Tongue“ von 1995, einem grünen, augenlosen Kopf, der mit rosa ausgestreckter Krawattenzungen und gelben Henkelohren auf einem Holzblock sitzt, stößt die Ausstellung selbst den Besucher mitten hinein in das wilde und berührende Panoptikum dieses Künstlers.

Im letzten Raum erst kommt der Besucher in der Gegenwart an, in der performativen Installation „Cast Studio“, die Thomas Houseago in seinem Atelier einrichtete: dort waren Besucher, Freunde eingeladen, teilzunehmen an der Gestaltung einer großen Fläche aus Ton, späterhin reproduziert als Gipsguss. Statt fand dieses Ereignis im Herbst 2018 als erste künstlerische Gemeinschaftsarbeit zwischen Houseago und seiner Partnerin, der Kunsttherapeutin Muna El Fituri. An den Wänden Schwarzweißbilder, die ihn im Lehm zeigen, mit ihm ringend, von ihm bedeckt: ein Künstler, der Teil seines Werkes wird.

Auf der Plattform des Tons auch eine Form, die fraglos jenen amerikanischen Tafelberg darstellt, auf dem Steven Spielberg 1977 Außerirdische landen ließ. Roy Neary, die Hauptfigur des Filmes, sah den Berg in Visionen, baute sich ein Modell aus Ton im Wohnzimmer – für Thomas Houseago mögen diese Szenen ein Schlüsselerlebnis gewesen sein. In allen den Räumen zuvor: die aufgebrochenen Menschenfiguren, die bis zur Decken hinauf reichen, wandernde, unfertige Riesen, eine „Rattlesnake Figure“, ein massiver Tanz in Aluminium, ein lang ausgestrecktes, aus Holz geschlagenes Skelett, die wuchtigen Masken, die an Darth Vader erinnern, die Figuren aus Holz und Ton, die schwarzen Bilder mit ihrer grimmigen Mimik, die „somatischen Zeichungen“: Halbe Menschen sie alle, Außerirdische oder Fremde, auf dem Weg vielleicht zu diesem Berg. 


Reutlinger General Anzeiger, 14. Juni 2019

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