Thomas Morawitzky, Journalist
In den Jahren vor seinem Durchbruch verwendete Houseago einfachste Materialien; heute lässt er seine Werke in Bronze gießen. Der Schauspieler Brad Pitt und Flea, Bassist der Red Hot Chili Peppers, gehören zu seinen Freunden, schrieben Beiträge zum Katalog der Pariser Ausstellung; der Jazzmusiker Kamasi Washington widmete ihm eine Komposition. Houseago ist angekommen. Er arbeitet weiter, predigt in Videos unermüdliche die Kraft der Kunst. Das Palais de Tokio indes präsentiert den Rückblick auf eine erstaunlichen Karriere, der ungemein beeindruckt in seiner Dichte, Vielfalt, mit dem gewaltigen Ausdrucksbedürfnis, von dem jedes der Werke spricht.
„Almost human“ - so ist diese Schau betitelt. Sie beginnt bereits im Hof des neoklassizistischen Museumsbaus – dort spiegelt sich die „Striding Figure II (Ghost)“ im Wasser eines eingefassten Teichs, eine gespenstische Figur in der Tat, ein wucherndes Gerippe mit einem formlos schattenhaften Kopf, ein Skelett, an dem Fetzen tönernen Fleisches hängen, das Kind vielleicht, das eine Heldenstatue mit einer Untoten aus dem Programm der Streaming-Diente zeugte. Entwickelt der Katalog der Ausstellung Thomas Houseagos Welt nahezu chronologisch, begonnen mit seiner „Pink Tongue“ von 1995, einem grünen, augenlosen Kopf, der mit rosa ausgestreckter Krawattenzungen und gelben Henkelohren auf einem Holzblock sitzt, stößt die Ausstellung selbst den Besucher mitten hinein in das wilde und berührende Panoptikum dieses Künstlers.
Im letzten Raum erst kommt der Besucher in der Gegenwart an, in der performativen Installation „Cast Studio“, die Thomas Houseago in seinem Atelier einrichtete: dort waren Besucher, Freunde eingeladen, teilzunehmen an der Gestaltung einer großen Fläche aus Ton, späterhin reproduziert als Gipsguss. Statt fand dieses Ereignis im Herbst 2018 als erste künstlerische Gemeinschaftsarbeit zwischen Houseago und seiner Partnerin, der Kunsttherapeutin Muna El Fituri. An den Wänden Schwarzweißbilder, die ihn im Lehm zeigen, mit ihm ringend, von ihm bedeckt: ein Künstler, der Teil seines Werkes wird.
Auf der Plattform des Tons auch eine Form, die fraglos jenen amerikanischen Tafelberg darstellt, auf dem Steven Spielberg 1977 Außerirdische landen ließ. Roy Neary, die Hauptfigur des Filmes, sah den Berg in Visionen, baute sich ein Modell aus Ton im Wohnzimmer – für Thomas Houseago mögen diese Szenen ein Schlüsselerlebnis gewesen sein. In allen den Räumen zuvor: die aufgebrochenen Menschenfiguren, die bis zur Decken hinauf reichen, wandernde, unfertige Riesen, eine „Rattlesnake Figure“, ein massiver Tanz in Aluminium, ein lang ausgestrecktes, aus Holz geschlagenes Skelett, die wuchtigen Masken, die an Darth Vader erinnern, die Figuren aus Holz und Ton, die schwarzen Bilder mit ihrer grimmigen Mimik, die „somatischen Zeichungen“: Halbe Menschen sie alle, Außerirdische oder Fremde, auf dem Weg vielleicht zu diesem Berg.
Reutlinger General Anzeiger, 14. Juni 2019