The Residents: Interview 2017

Richard Nixon sings the Blues 
Als anonymes Kollektiv zwischen Underground-Musik und Theater wurden sie berühmt, sie trugen Frack und Köpfe, die Augäpfeln glichen. The Residents, ein Mysterium aus San Francisco, treten nun im franz. K auf. Homer Flynn, Sprecher der Gruppe, erzählt von Wandlungen, Projekten und den Träumen eines früheren Präsidenten.
Es sind 45 Jahre vergangen, seitdem The Residents ihr erstes Album veröffentlicht haben. Wenn Sie zurück blicken - worum ging es der Gruppe während all der Jahre vor allen Dingen?
The Residents verstehen sich selbst weit mehr als Künstler, denn als Musiker. Auf ihre Identität als Gruppe haben sie immer den größten Wert gelegt. An ihr haben sie während ihrer gesamten Karriere gearbeitet. 

Die Masken, mit denen The Residents lange auftraten, und die großen Augäpfeln glichen, haben sie abgelegt. Was stellen die Masken dar, die sie nun auf der Bühne tragen? Welche Rollen spielen sie?
The Residents tragen nun die Masken von Ärzten, die im 16. und 17. Jahrhundert Seuchen bekämpften. Sie sehen aus wie Schnäbel von sehr großen Vögeln. Die Ärzte jeder Zeit wussten noch nichts von Sporen und Bakterien, aber sie hatten den Verdacht, dass Krankheiten übertragen wurden durch etwas in der Luft - sie sprachen von schlechter Luft oder von einem Miasma. Sie wollten mit ihren Vogelmasken das Miasma filtern. 

Was erwartet das Reutlinger Publikum, wenn The Residents im franz. K auftreten?
In der Show geht es um Träume. The Residents haben Songs zusammengestellt, die von Träumen handeln, träumerische Qualitäten besitzen, Traumbilder verwenden. Videosequenzen ergänzen diese Songs - sie zeigen Personen, die von ihren Träumen erzählen. Eine dieser Personen ist der frühere US-Präsident Richard Nixon, der davon träumt, ein Bluessänger zu sein. Mutter Teresa träumt davon, ein Zugunglück zu erleben. John Wayne träumt von einer Ballerina. All das ist irgendwie surreal, zugleich aber auch unterhaltsam.

Das jüngste Album der Residents heißt „Ghost of Hope“ und handelt ausschließlich von Zugunglücken.
Einer der Residents war immer schon besessen von Zügen. In der Gruppe wurde lange darüber diskutiert, aber das Thema ist sehr groß. Vor ein paar Jahren brachte jemand die Idee, sich auf Unglücksfälle zu konzentrieren. Das fand die Gruppe sehr interessant und begann also damit, zu recherchieren. Recherchen waren immer schon ein wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit für die Residents. Sie entdeckten, dass die Eisenbahn im 19. und frühen 20. Jahrhundert in den USA eine stark vorherrschende Technologie war. Zur selben Zeit wurde es aber auch immer schwieriger, diese Technologie zu kontrollieren. The Residents traten einen Schritt zurück, betrachteten dieses Bild, und stellten fest, dass es hier große Parallelen gibt, zu unserer heutigen Situation. 

The Residents haben eine Organisation gegründet, Cryptic Corporation. Sie, Homer Flynn, fungieren als ihr CEO. Worin bestehen ihre Aufgaben?
Ich war über all die Jahre hin verantwortlich für die grafische Gestaltung der Alben, habe die Cover entworfen, die Fotos der Gruppe angefertigt. Als The Residents sich weiter entwickelten, kam die Planung der Tourneen hinzu. Die Gruppe arbeitet derzeit an mehreren Filmprojekten, und sie wird eine Reihe von Shows in Museen spielen - das ist genügend Arbeit für mich. 
Von Anfang waren The Residents Manipulatoren von Klang. Welche Rolle spielt Musik, für sich genommen, Komposition, in ihrer Arbeit?
The Residents haben sich tatsächlich immer eher als Klangmanipulatoren verstanden, denn als Musiker im eigentlichen Sinn. Dabei hat der Computer für sie, im Laufe der Zeit, immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie sind Klangkünstler, aber der Klang, den sie am liebsten hören, ist Musik.

Werden The Residents beim ihrem Reutlinger Konzert auch Instrumente spielen, oder werden sie sich auf den Computer beschränken?
Die Gruppe tritt nun als Band auf. Zu ihren Anfängen konnte man The Residents kaum als virtuose Musiker bezeichnen - aber sie bestehen nun schon sehr lange und haben dabei gelernt, ihre Instrumente zu meistern.

Ein Album der Residents trägt den Titel „Freak Show“. Kann man darin eine Metapher für die gesamte Arbeit der Gruppe sehen?
Als sie dieses Album aufnahmen, hatten The Residents das wohl kaum im Sinn - aber ich denke schon, dass man es so sehen kann. 
Es gibt viel Dunkles und zugleich Komisches in der Welt der Residents - weshalb ist das so?
Wir möchten mit dem, was wir tun, einen großes emotionales Spektrum abdecken. The Residents spielen mit unterschiedlichen Gefühlen.

Bei manchen Coverversionen, die The Residents gespielt haben, vor allem auf dem Album „Third Reich Rock 'n Roll“ von 1976, könnte man eine hintergründige Kritik an der Massenpsychologie der Popularkultur vermuten...
Bei diesem speziellen Album ging es um den Faschismus des Rock 'n Roll, darum, wie zahlreiche andere Kulturen sich dem Rock-Beat anpassen, um kommerziellen Erfolg zu haben.

Ist den Themen, mit denen sich The Residents beschäftigen, etwas genuin Amerikanisches gemein?
Natürlich verstehen The Residents sich selbst als Amerikaner. Und notwendigerweise fühlen sie sich oft zu amerikanischen Themen hingezogen - mit ihnen sind sie aufgewachsen, sie hatten den größten Einfluss auf sie. 

Ein Resident - das ist, auf Deutsch, ein Bewohner. Wie fühlt man sich heute, als Bewohner der USA?
Ein wenig seltsam, um ehrlich zu sein. Heute scheint es dort viel Grund für Angst und Besorgnis zu geben. 

Was verstehen The Residents unter Schönheit?
Nun, zumindest für einen der Residents kann ich sagen: Das schönste, was er sich vorstellen kann, ist eine wunderbar frische Tomate mitten im Sommer. 

Reutlinger Generalanzeiger, 15. November 2017
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