Steve Erarle Interview

Die Welt ist eine raue Gegend
Interview mit Steve Earle
Terraplane ist ihr 16tes Album. Worin unterscheidet es sich von ihren früheren Alben, wie sehen Sie Ihre Entwicklung als Songwriter über die Jahre?
Ich glaube schon, dass ich heute ein besserer Songwriter sein muss - ich probiere immer wieder etwas Neues aus, um mein Interesse an der Musik wach zu halten, und ich habe die Theorie, dass ich so auch das Interesse des Publikums wach halten kann. Terraplane ist ein Blues-Album, vor allem, weil der Blues immer schon immer ein Teil meiner Musik war. Dieses Mal wollte ich mich ganz auf ihn konzentrieren. Dabei bin ich weit zurück gegangen, bis in die Vorkriegszeit. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich eine sehr viel engere Auffassung vom Blues durch. Auf diesem Album geht es darum, dass Robert Johnson eher ein großer Songwriter als ein großer Gitarrist war. 

Ihre Songs behandeln oft politische oder gesellschaftliche Themen. Das neue Album ist persönlicher ausgefallen. Welche Themen beschäftigen Sie zur Zeit?
Dass ständig Krieg ist und mein Land damit zu tun hat. Wir haben viel Schaden angerichtet auf der Welt, und das rächt sich nun. Die Welt ist heute eine ziemlich raue Gegend - das kommt von der Gier, das kommt von Leuten, die Geld machen wollen. Darüber kann man schon besorgt sein. Und ich habe einen kleinen Sohn, der an Autismus leidet. Ich versuche, Aufmerksamkeit für diese Krankheit zu erzeugen, damit man ihre Ursachen erforscht und den Kindern hilft, bei denen sie bereits diagnostiziert wurde. 

Sie haben von der Situation Europas gehört, das überlaufen wird von Flüchtlingen aus dem nahen Osten. Was denken Sie über dieses Thema?
Als Amerikaner fühle ich mich dafür verantwortlich - denn diese Leute kommen ja aus Ländern, die wir mehr oder weniger platt gemacht haben. Gerechterweise müssten ja wir sie alle aufnehmen - aber dazu müssten sie einen Ozean überqueren. Deutschland können sie dagegen auf dem Landweg erreichen. Wie sich das entwickeln wird? Die Leute kommen, suchen Arbeit, nehmen die Arbeiten an, die keiner haben will - so war das in England, so war es in Deutschland, in den USA. Wenn die Einwanderer dann besser arbeiten als wir selbst, beginnen wir zu jammern. So war es doch immer schon. Aber hier geht es ja um echte Not. Diese Leute wollen niemandem Arbeit wegzunehmen. Sie kommen, weil sie nicht sterben wollen.

In den 1990er Jahren wurden Sie wegen dem Besitz von Feuerwaffen zu einer Haftstrafe verurteilt. Was denken Sie über die Waffengesetze in den USA?
Ach ja, die Waffen. Das ist sehr sehr lange her. Ich wurde so aufgezogen, man sagte mir, es sei in Ordnung, Waffen zu besitzen, man habe das Recht dazu, und also hatte ich welche. Ich besitze keine mehr, dafür habe ich persönliche Gründe, und ich habe meine Ansichten über Waffen geändert. Ich denke heute, es gibt viel zu viele Waffen, und das ist ein Grund dafür, dass viele Menschen sterben. 

Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler und Autor einiger Bücher...
Ich habe in der ersten, der vierten und fünften Season von The Wire gespielt. Mit der Schauspielerei habe ich begonnen, weil David Simon mich bat, diese Figur in The Wire zu spielen. Ich spielte auch in „Treme“ - das ist die TV-Serie, die David später produzierte, die vom Leben in New Orleans erzählt, nach dem Hurrikan Katrina. Und ja, ich schreibe nicht nur Songs, sondern auch andere Sachen. 
Gedichte habe ich nicht veröffentlicht, obwohl ich viele Gedichte lese, aber es gibt zwei Bücher von mir, eines mit Kurzgeschichten, und einen Roman. Er wurde auch ins Deutsche übersetzt, er heißt: „I'll never get out of this World alive“.

Der Plot dieses Romans hört sich an, wie eine typische Southern-Gothic-Geschichte...
Ich begann einfach, zu schreiben. Ich hatte oft von einem Arzt gehört, der mit Hank Williams reiste und plötzlich verschwunden war, nach Hanks Tod. Im Buch hat der Mann seine Praxis verloren, er ist heroinsüchtig und finanziert seine Sucht, indem er Abtreibungen vornimmt. Zehn Jahre sind vergangen, seitdem er mit Hank umher reist, dann starb Hank. Und nun verfolgt er ihn: Hank Williams Geist ist eine Figur im Buch.

Das ist aber nicht autobiografisch? Sie werden nicht von Hank Williams' Geist heimgesucht?
Nein nicht wirklich. Obwohl das ja eigentlich auf jeden zutrifft, der tut, was ich tue. 

Und wie sieht es aus mit dem Geist von Townes van Zandt?
Der ist in allem, was ich mache. Ich habe ein ganzes Album mit seinen Songs eingespielt. Er ist immer da. Ich habe meinen Sohn nach ihm benannt. 

Viele Ihrer Songs sind von anderen Künstlern interpretiert worden. Welches ist ihre liebste Interpretation?
Wahrscheinlich ist sie von Emmy. Emmylou Harris' Version von „Goodbye“. 

Einmal haben Sie auch mit Joan Baez gearbeitet...
Ich habe ihr letztes Album produziert, acht Jahre ist das nun her. Das war sehr gut! Es war das erste Album, das ich jemals produziert habe, bei dem alle Musiker, die auf ihm spielten, ein Autogramm wollten. Mit Joan Baez lässt sich hervorragend arbeiten. Sie wollte, dass das ein ganz besonderes Album werden sollte, sie setzte alles daran - und ich glaube, ein besonderes Album ist es auch geworden. 

Was halten Sie von den Religionen?
Ich praktiziere keine Religion, obwohl ich an Gott glaube. Ich kenne keinen, der jemals LSD genommen hat, und nicht an Gott glaubt. Ich bin kein Christ, ich bin kein Buddhist, aber ich glaube an Gott. 

Religion entwickelt heute aber wieder sehr negative Züge, auch in den USA. Ich denke zum Beispiel an George W. Bush.
Ich habe Menschen getroffen, denen ich glaube, dass sie mit ihrer Religion Gott erreichen wollen. Ich habe aber auch Menschen getroffen, sehr viele, die Religion auf eine Weise benutzen, die viel Übel anrichtet. Das hat nichts mit Religion zu tun. Wenn man Religion so auffasst, ist sie nichts anderes als Politik. Zwischen einem fundamentalistischen Christen und einem Nationalsozialisten gibt es keinen Unterschied. Und die fundamentalistischen Politiker, hier in den USA, praktizieren ihre Religion ja überhaupt nicht. Denen geht es nur darum Wählerstimmen zu bekommen.  

Zurück zur Musik: Denken Sie schon an Ihr nächstes Album? Wie wird es klingen? 
Ja... das wird das eine Country-Platte. Vielleicht wird es das Album, das ich 1986 unmittelbar nach „Guitar Town“ hätte machen können. 

Stuttgarter Nachrichten, 5. November 2015
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