Samuel Beckett: Briefe 1966-1989

Der Dichter in der Neckarklause
Samuel Beckett, Briefe 1966-1989
„Gestern Nachmittag früh Schluss gemacht“, notiert er. „Durch den Park zur Stadt runtergerlaufen, dann zurück durch die Neckarstraße. Esse abends in einsamer Armseligkeit in der Neckar Klause. Höchstens mal ein stummer Säufer in der Ecke.“ Samuel Beckett besucht Stuttgart, im Januar 1979. Er schreibt an Barbara Bray, die er 1958 bei der Produktion seines ersten Hörspiels für den BBC kennen lernte, die bis zuletzt zu seinen engsten Vertrauten gehören wird. 
Vor fünf Jahren begann der Suhrkamp Verlag mit der Veröffentlichung der Briefe Becketts; ein vierter, letzter Band schließt diese Ausgabe nun ab, umfasst die Jahre von 1966 bis 1989. Becketts erste Reise nach Stuttgart, im März 1966, schlägt sich dort nur in zwei kurzen Briefen nieder - „Italien war schön bis zum Schluss“, schreibt er. „Hier ein bisschen trostlos im Vergleich.“ Dann, drei Tage später: „Hab ihnen den Marsch geblasen. Schreibe dies um 9 Uhr vormittags in Kneipe mit Pils.“
Wie der Beginn einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit klingt dies zunächst einmal nicht. Und doch: Samuel Beckett sollte oft noch nach Stuttgart zurückkehren. Zwischen 1977 und 1986 inszeniert er am SDR eine Reihe von Fernsehspielen, Pionierleistungen zu ihrer Zeit, die, heute mehr noch als damals, wie Fremdkörper in der Landschaft des Mediums wirken. Der Bildschirm öffnet sich in graue Räume, in denen Menschen, nahezu regungslos, körperlosen Stimmen lauschen, stumm verzweifelnd in ihrer Behausung umher irren. 
Samuel Beckett, geboren 1906 in einem Vorort Dublins, erlebte seinen internationalen Durchbruch 1953 mit „Warten auf Godot“, blieb dabei ein Autor, der sich er Öffentlichkeit so konsequent verweigerte wie kaum ein anderer. Dennoch schrieb er seinen Freunden, Mitarbeitern oft und ausführlich. 1966 befindet er sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms; seine Stücke stehen weltweit auf den Programmen der Theater. In den folgenden Jahren verfasst er nur noch sehr kurze Briefe, versendet oft wenige Zeilen, notiert auf Kunstpostkarten. Nichtsdestotrotz entsteht in diesen späten Briefen das faszinierende Portrait eines sehr widersprüchlichen Menschen: stets illusionslos, verschlossen, herzlich und entgegenkommend zugleich. 1969 akzeptiert Samuel Beckett den Nobelpreis für Literatur nur widerwillig – „Ich möchte diesen Preis nicht“, schreibt er an Siegfried Unseld, seinen deutschen Verleger. „Aber ich möchte meine Lage nicht durch Verweigerung erschweren.“ 
Becketts Briefe richten sich an eine Vielzahl von Adressaten - an Theodor W. Adorno, Emile Cioran, Jasper Johns, Harold Pinter. 1966 steht er in Kontakt mit Hans Martin Erhardt und dem Verleger Roland Hänßel, die für die Stuttgarter Manus Presse ein Künstlerbuch mit Texten Becketts planen. 1977 sendet er einen ermunternden Brief an den 30-jährigen Paul Auster, der sich zu dieser Zeit als Theaterautor versucht. Zugleich inszeniert er seine eigenen Stücke in Berlin, tauscht sich mit Schauspielern, Regisseuren, Übersetzern aus. 

Spätestens Mitte der 1970er Jahre bekundet Beckett den Wunsch, sich von der Regiearbeit zurück zu ziehen, aber erst nach seinen Stuttgarter Fernsehinszenierungen wird er sich ganz vom Theater lösen können. Mit Reinhard Müller-Freienfels, dem Leiter der Fernsehspielabteilung des SDR, und mit dem Kameramann Jim Lewis verbindet ihn eine anhaltende Freundschaft. 1979 widmet er Lewis das Gedicht „For good and ill“. Im Stuttgarter Parkhotel arbeitet er an seinem Kurzroman „Company“, einem herausragenden Spätwerk.
Goggo Gensch, heute Leiter des SWR Doku-Festivals, 1981 als Aufnahmeleiter an den Fernsehproduktionen Becketts beteiligt, erinnert sich: „Wenn Beckett ins Haus kam, wussten jene, die sich dafür interessierten, schon Wochen vorher Bescheid. Sein Besuch durfte nicht bekannt gegeben werden, es gab keine Interviews mit Journalisten und erst, als er wieder abgereist war, eine Mitteilung an die Presse. Dann kam er. Im Studio wurde ein Zelt aufgebaut; das Rauchverbot wurde mit Genehmigung des Intendanten aufgehoben. Meine Aufgabe war vor allem, dafür zu sorgen, dass ein Aschenbecher da war und ein Feuerlöscher im Zelt stand.“
Beckett galt als Pedant, überwachte jeden Aspekt der Inszenierung genau, war schwer zufrieden zu stellen - „Er hat die Tänzer geradezu gequält“, erzählt Gensch von den Aufnahmen zu dem Fernsehspiel „Quadrat I+II“. Allerdings konnte Beckett sich bei der Arbeit auch erstaunlich aufgeschlossen zeigen. In „Quadrat I“ sieht der Zuschauer vier in bunte Stoffe verhüllte Tänzer, die zu schneller Percussion hektisch präzise die Kanten eines Quadrates abschreiten. Die Fortsetzung dieser Szene, „Quadrat II“, zeigt die selbe Gruppe in Schwarzweiß, ohne Musik, müde schlürfend, Ewigkeiten später – eine Idee des Dokumentarfilmers Roman Brodmann, die Beckett spontan aufgriff. 
„Gehe abends zum Essen raus“, schreibt Beckett 1977 an Barbara Bray aus Stuttgart. „Verschiedene kleine Lokale in der Nähe, Essen nicht schlechter als im Hotel, ein Drittel des Preises, Stimmung angenehmer. 10 Minuten hinauf ins Studio in schöner Parklandschaft. Nachts die Nachtigallen. So sieht es aus.“
Bei der Bundesgartenschau 1977 wurde dem ungekannten Nobelpreisträger von einer Stuttgarter Kassendame ein Seniorenpass angeboten. Das Parkhotel, in dem Samuel Beckett übernachtete, wich längst einem Neubau des SWR. Die Neckar Klause, in der Beckett sein Pils trank, ist heute ein chinesisches Restaurant. Jim Lewis, Becketts Stuttgarter Kameramann, lebte zuletzt als Maler auf der Ostseeinsel Fehmarn, starb mit 82 Jahren im November 2018. Samuel Beckett starb am 22. Dezember vor 29 Jahren in Paris. Die letzten Zeilen, die in der Ausgabe seiner Briefe enthalten sind, schrieb er im November auf eine Karte: „Ich bin krank & kann nicht helfen. Leider. Also: machen Sie ohne mich weiter.“ 

Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten, 8. Januar 2019



Der Dichter in der Neckarklause

„Gestern Nachmittag früh Schluss gemacht“, notiert er. „Durch den Park zur Stadt runtergerlaufen, dann zurück durch die Neckarstraße. Esse abends in einsamer Armseligkeit in der Neckar Klause. Höchstens mal ein stummer Säufer in der Ecke.“ Samuel Beckett besucht Stuttgart, im Januar 1979. Er schreibt an Barbara Bray, die er 1958 bei der Produktion seines ersten Hörspiels für den BBC kennen lernte, die bis zuletzt zu seinen engsten Vertrauten gehören wird. 
Vor fünf Jahren begann der Suhrkamp Verlag mit der Veröffentlichung der Briefe Becketts; ein vierter, letzter Band schließt diese Ausgabe nun ab, umfasst die Jahre von 1966 bis 1989. Becketts erste Reise nach Stuttgart, im März 1966, schlägt sich dort nur in zwei kurzen Briefen nieder - „Italien war schön bis zum Schluss“, schreibt er. „Hier ein bisschen trostlos im Vergleich.“ Dann, drei Tage später: „Hab ihnen den Marsch geblasen. Schreibe dies um 9 Uhr vormittags in Kneipe mit Pils.“
Wie der Beginn einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit klingt dies zunächst einmal nicht. Und doch: Samuel Beckett sollte oft noch nach Stuttgart zurückkehren. Zwischen 1977 und 1986 inszeniert er am SDR eine Reihe von Fernsehspielen, Pionierleistungen zu ihrer Zeit, die, heute mehr noch als damals, wie Fremdkörper in der Landschaft des Mediums wirken. Der Bildschirm öffnet sich in graue Räume, in denen Menschen, nahezu regungslos, körperlosen Stimmen lauschen, stumm verzweifelnd in ihrer Behausung umher irren. 
Samuel Beckett, geboren 1906 in einem Vorort Dublins, erlebte seinen internationalen Durchbruch 1953 mit „Warten auf Godot“, blieb dabei ein Autor, der sich er Öffentlichkeit so konsequent verweigerte wie kaum ein anderer. Dennoch schrieb er seinen Freunden, Mitarbeitern oft und ausführlich. 1966 befindet er sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms; seine Stücke stehen weltweit auf den Programmen der Theater. In den folgenden Jahren verfasst er nur noch sehr kurze Briefe, versendet oft wenige Zeilen, notiert auf Kunstpostkarten. Nichtsdestotrotz entsteht in diesen späten Briefen das faszinierende Portrait eines sehr widersprüchlichen Menschen: stets illusionslos, verschlossen, herzlich und entgegenkommend zugleich. 1969 akzeptiert Samuel Beckett den Nobelpreis für Literatur nur widerwillig – „Ich möchte diesen Preis nicht“, schreibt er an Siegfried Unseld, seinen deutschen Verleger. „Aber ich möchte meine Lage nicht durch Verweigerung erschweren.“ 
Becketts Briefe richten sich an eine Vielzahl von Adressaten - an Theodor W. Adorno, Emile Cioran, Jasper Johns, Harold Pinter. 1966 steht er in Kontakt mit Hans Martin Erhardt und dem Verleger Roland Hänßel, die für die Stuttgarter Manus Presse ein Künstlerbuch mit Texten Becketts planen. 1977 sendet er einen ermunternden Brief an den 30-jährigen Paul Auster, der sich zu dieser Zeit als Theaterautor versucht. Zugleich inszeniert er seine eigenen Stücke in Berlin, tauscht sich mit Schauspielern, Regisseuren, Übersetzern aus. 
Spätestens Mitte der 1970er Jahre bekundet Beckett den Wunsch, sich von der Regiearbeit zurück zu ziehen, aber erst nach seinen Stuttgarter Fernsehinszenierungen wird er sich ganz vom Theater lösen können. Mit Reinhard Müller-Freienfels, dem Leiter der Fernsehspielabteilung des SDR, und mit dem Kameramann Jim Lewis verbindet ihn eine anhaltende Freundschaft. 1979 widmet er Lewis das Gedicht „For good and ill“. Im Stuttgarter Parkhotel arbeitet er an seinem Kurzroman „Company“, einem herausragenden Spätwerk.
Goggo Gensch, heute Leiter des SWR Doku-Festivals, 1981 als Aufnahmeleiter an den Fernsehproduktionen Becketts beteiligt, erinnert sich: „Wenn Beckett ins Haus kam, wussten jene, die sich dafür interessierten, schon Wochen vorher Bescheid. Sein Besuch durfte nicht bekannt gegeben werden, es gab keine Interviews mit Journalisten und erst, als er wieder abgereist war, eine Mitteilung an die Presse. Dann kam er. Im Studio wurde ein Zelt aufgebaut; das Rauchverbot wurde mit Genehmigung des Intendanten aufgehoben. Meine Aufgabe war vor allem, dafür zu sorgen, dass ein Aschenbecher da war und ein Feuerlöscher im Zelt stand.“
Beckett galt als Pedant, überwachte jeden Aspekt der Inszenierung genau, war schwer zufrieden zu stellen - „Er hat die Tänzer geradezu gequält“, erzählt Gensch von den Aufnahmen zu dem Fernsehspiel „Quadrat I+II“. Allerdings konnte Beckett sich bei der Arbeit auch erstaunlich aufgeschlossen zeigen. In „Quadrat I“ sieht der Zuschauer vier in bunte Stoffe verhüllte Tänzer, die zu schneller Percussion hektisch präzise die Kanten eines Quadrates abschreiten. Die Fortsetzung dieser Szene, „Quadrat II“, zeigt die selbe Gruppe in Schwarzweiß, ohne Musik, müde schlürfend, Ewigkeiten später – eine Idee des Dokumentarfilmers Roman Brodmann, die Beckett spontan aufgriff. 
„Gehe abends zum Essen raus“, schreibt Beckett 1977 an Barbara Bray aus Stuttgart. „Verschiedene kleine Lokale in der Nähe, Essen nicht schlechter als im Hotel, ein Drittel des Preises, Stimmung angenehmer. 10 Minuten hinauf ins Studio in schöner Parklandschaft. Nachts die Nachtigallen. So sieht es aus.“
Bei der Bundesgartenschau 1977 wurde dem ungekannten Nobelpreisträger von einer Stuttgarter Kassendame ein Seniorenpass angeboten. Das Parkhotel, in dem Samuel Beckett übernachtete, wich längst einem Neubau des SWR. Die Neckar Klause, in der Beckett sein Pils trank, ist heute ein chinesisches Restaurant. Jim Lewis, Becketts Stuttgarter Kameramann, lebte zuletzt als Maler auf der Ostseeinsel Fehmarn, starb mit 82 Jahren im November 2018. Samuel Beckett starb am 22. Dezember vor 29 Jahren in Paris. Die letzten Zeilen, die in der Ausgabe seiner Briefe enthalten sind, schrieb er im November auf eine Karte: „Ich bin krank & kann nicht helfen. Leider. Also: machen Sie ohne mich weiter.“ 

Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten, 8. Januar 2019



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