Motorpsycvho Interview

Im Schmelztiegel von Heavy Metal und Country-Rock
Interview mit Hans Magnus Ryan
Jemandem, der noch nie zuvor mit Motorpsycho in Berührung kam – wie würden Sie einer solcher Person erklären, worum es bei dieser Band und ihrer Musik geht?
Es geht uns darum, das Format der Rockband zu erkunden. Wir verfügen über ein sehr großes Repertoire in vielen unterschiedlichen Genres, vom klassischen Hardrock über Heavy Metal bis hin zu Country, Jazz, Soft-Rock. Motorpsycho vermischen heute all diese Stile, aber im Wesentlichen haben wir uns immer vor allem dafür interessiert, den Hardrock zu erweitern. 

Motorpsycho gründeten sich 1989. Feiert die Band nun ihr 30. Jubiläum?
An solchen Dingen lag und niemals viel. Die Jahre vergehen und man sollte seine Energie nicht auf Nostalgie verschwenden. Die Motorpsycho-Musik von morgen ist viel interessanter als die Vergangenheit.
Motorpsycho haben immer mit sehr vielen Bezügen zur Rockmusik der 1970er und 1960er gespielt, zum Beispiel zur Musik der Grateful Dead...
Wir versuchen, von anderen Bands zu lernen. Wir absorbieren ihre Musik und kreieren etwas, das neu ist uns uns entspricht. Dahinter steht das Bedürfnis, sich ständig zu verändern. Grateful Dead waren die archetypisch-experimentelle Rockband. In Europa gibt es leider nicht viele Bands, die so weit gehen… vielleicht doch, im Jazz, aber das ist etwas anderes. 

Welche Rolle spielt Improvisation, Kollektiv-Improvisation, in der Musik von Motorpsycho? 
Es ist wunderbar, so an Auftritte heranzugehen. Das hat seinen Ursprung in der kalifornischen Psychedelic-Szene der 1960er Jahre und das war der Modus Operandi sehr vieler Jazz-Musiker. Uns hat es sehr weit voran gebracht, auf diese Weise zu spielen, uns Experimenten zu öffnen. 

Die skandinavische Musikszene insgesamt scheint einen ganz eigenen Kosmos zu bilden, der eigenen Gesetzen gehorcht…
In unserer Heimatstadt Trondheim gibt es ein Jazz-Konservatorium, an dem Musiker arbeiten, die die Popmusik ebenso erkunden wollen wie den Black Metal, die klassische Musik. Hier gibt es keine Abgrenzungen zwischen Hair-Metal, Jazz und Punk; es geht darum, all dies zusammen zu führen und neue Wege zu finden. Das ist eine sehr lohnende Herangehensweise – zumindest in der norwegischen Musikszene sind in den vergangenen 15 Jahren erstaunliche Dinge geschehen.

Der Name Motorpsycho rührt her von einem Film, der 1965 von Russ Meyer gedreht wurde. Welche Rolle spielt das Kino für Motorpsycho?
Der Schlagzeuger Kjell „Killer“ Jenssen gehörte zur ersten Besetzung von Motorpsycho und war ein großer Filmfan, vor allem von amerikanischen Motorrad-Filmen. Als wir zuerst nach London reisten hatten wir noch keinen Namen. In einem Kino wurde eine Reihe von Russ-Meyer-Filmen gezeigt – und ja, ähm, beim Namen „Motorpsycho“ hatten wir einfach ein gutes Gefühl. Persönlich fand ich den Film nicht sehr unterhaltsam... Obwohl – drei junge Kriminelle auf Motorrädern, die üble Dinge tun… Spaß hat er eigentlich schon gemacht. 
Eines der frühesten Motorpsyvcho-Alben ist The Tussler. Das Album trat auf als Soundtrack zu einem Film; dieser Film jedoch existiert nicht. Was interessierte Sie am Konzept eines Soundtracks, zu dem es keinen Film gibt? 
Das ergibt einen Hintergrund, eine Erzählung, die die Musik begleitet. So entsteht ein Phantasiefilm, der im Kopf der Hörer abläuft, viele Assoziationen eröffnet… Aber, hey, eigentlich begann all das mit Håkon Gebhardt, der damals unser Schlagzeuger war. Er kaufte sich ein Banjo und begann, Bluesgrass zu hören. Bent Sæther, der die meisten unserer Songs schreibt, schrieb dann einige Songs für uns um. Dazu kam noch Material aus dem klassischen Country-Songbook, wir haben tief gegraben… und die Musik der Grateful Dead, der Byrds, von Gram Parsons, spielte natürlich auch eine große Rolle.

Ist es nicht ein wenig seltsam, wenn eine Band aus Norwegen sich so weit auf US-amerikanische Roots-Music einlässt?
Überhaupt nicht. Es gibt in dieser Musik viele Bezüge zur europäischen, auch zur norwegischen Folkmusik. Zuerst war die amerikanische Folkmusik ja auch eine Vermischung europäischer Einflüsse. Uns hat sie dazu angeregt, Neues zu versuchen, dreistimmig Harmonien zu singen, die Mandoline zu spielen oder den Kontrabass. Wir hatten verdammt viel Spaß dabei.

Motorpsycho sind bekannt dafür, ihre Setlisten häufig zu wechseln. Wie sieht das aus, bei der aktuellen Tournee?

Eine wichtige Rolle spielen unsere letzten Alben - „The Tower“, „The Crucible“ - aber viel hängt ab von unserer Stimmung. Manchmal beginnen wir mit fünf akustischen Songs, aber es entwickelt sich an jedem Abend in eine andere Richtung. 


„The Crucible“ erschien mir etwas härter als einige der vorhergehenden Motorpsycho-Alben – und besonders erinnerte mich das Album an King Crimson, Mitte der 1970er Jahre. Das war beabsichtigt?

Absolut. Wir experimentieren mit verminderten Akkorden und Modalitäten des Tritonus, versuchen, das in unser Songwriting zu integrieren. Ich würde sagen: Robert Fripp hat uns ein paar neue Akkorde beigebracht. 


Motorpsycho verwenden auf Ihren Alben oft viele unterschiedliche Instrumente. Mit welchen wird die Band in Reutlingen auftreten, wird es Gastmusiker geben?

Auf dieser Tour begleitet uns Raine Fiske, ein schwedischer Mellotron-Spieler. Fiske spielt auch Gitarre, er ist Mitglied der Band Dungen. Das Mellotron hat in unserer Musik immer wieder eine Rolle gespielt. 


Ein „Crucible“ - Tiegel – das ist, frei Lexikon, ein keramischer oder metallischer Behälter, in dem Metalle oder andere Substanzen geschmolzen oder hohen Temperaturen ausgesetzt werden...

Der Album-Titel ist eine gute Metapher dafür, wie wir heute den musikalischen Einflüssen, mit denen wir bisher gearbeitet haben, eine neue Form geben. Natürlich kann man in diesem Bild auch anderes sehen – den Planeten Erde, politische Aspekte, da wir heute in einer chaotischen Zeit leben, in der viele Standpunkte zu zerfließen scheinen.


Reutlinger General Anzeiger, 29. Mai 2019

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