DAF: Interview 2011

 "Ein Synthesizer ist wie ein weißes Blatt"
Interview mit Gabi Delgado-López
Herr Delgado-López, einige Zeit waren Sie und Robert Görl mit jeweils eigenen Projekten beschäftigt. Nun sind Sie wieder gemeinsam als DAF unterwegs. Wie kam das?
Wir sind immer in Kontakt geblieben. Zuerst hatten wir die Idee, anlässlich eines Festivals vor drei Jahren wieder zusammen zu spielen. Das hat uns dann so gut gefallen, dass wir damit weitergemacht haben. Wir stehen immer in Kontakt, auch wenn wir gerade nichts Neues machen.

Wird es auch eine neue Platte geben?
Im September 2010 haben wir die limitierte Single „Du bist DAF“ veröffentlicht. Das war ein reiner Fan-Artikel. Im Moment lohnt es sich ja gar nicht, eine Platte zu machen. Eigentlich ist es schön, dass wir zurzeit keine Plattenfirma brauchen. Das erlaubt uns, unseren eigenen Weg zu gehen. Wir haben sicher 1000 Stücke, die noch nicht veröffentlicht wurden, und könnten jederzeit eine Platte herausbringen. Aber es drängt uns niemand. Wenn wir wollen, können wir einfach ein Stück ins Internet stellen, kostenlos (lacht).

DAF standen immer auch für provokante Inhalte. Wie verhält es sich damit heute?
Wenn ein Tabu öfter gebrochen wurde, verliert das seinen Reiz. Provokation hat für uns immer eine viel kleinere Rolle gespielt, als viele dachten. Wir sagen nicht: Lass uns etwas Provokantes machen. Wir machen auch nicht bewusst Songs zu politischen oder sexuellen Themen. Ich bin ein Standup-Poet, ich habe Worte im Kopf, die ich provokant oder sexy finde. Wir sind, wie wir sind, und damit ecken wir oft an.

Heute gehen zum Beispiel Rammstein auf ähnliche Weise mit Inhalten um.
Rammstein kennen den DAF-Wortkatalog natürlich sehr gut. Sie haben ja auch drei Stücke von uns gecovert. Aber das Augenzwinkern dabei, das haben sie, finde ich, niemals richtig hinbekommen.

Massenmedien begannen zuerst zur Zeit des Nationalsozialismus eine bedeutende Rolle zu spielen. Andererseits haben Pop-Gruppen immer wieder mit der Ästhetik und Symbolik der NS-Zeit gespielt. Gibt es einen Zusammenhang von Pop und Faschismus?
Gute Frage. Tatsächlich hatten manche Nazi-Inszenierungen aus heutiger Sicht eindeutig Pop-Charakter. Und auch die Kostüme der Disco-Gruppen erinnerten ja oft an Uniformen. Pop-Gruppen haben immer gerne faschistische Symbole benutzt. Eigentlich ist es egal, ob man Tomatensuppe sagt oder Mussolini – immer handelt es sich
um Symbole, die schon zuvor semantisch besetzt sind. Es gehört zur Kunst der Pop-Art, mit solchen Symbolen zu spielen.

DAF gelten noch heute als eine der einflussreichsten deutschen Bands der frühen 1980er Jahre. Wo sehen Sie diese Einflüsse?
Es gibt viele Sachen, die wir damals etabliert haben – die Trackorientierung der Musik, den radikalen Einsatz von Synthesizer und Sequenzer, die Tanz-Befehle. In der Disco- und EBM-Musik haben wir viele Kinder und Enkelkinder gezeugt.

Man hat DAF auch der Neuen Deutschen Welle zugeordnet...
Uns hat das nie gefallen. Ideal waren für uns einfach nur frecher Schlager. Und Grauzone waren uns immer zu 
weinerlich. Eher schon Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire. Die erste Band, die ich kannte und bei der ich dachte, das ist richtig gute, fertige Musik, waren Suicide. Und eine Platte, die mich wirklich beeinflusst hat, war „I
Feel Love“ von Donna Summer. Das war Elektronik und Sex. Das hat mich sehr begeistert. Außerdem gab es den Punk, die Punk-Energie. Wir wollten aber nicht wie die Punks auf den Instrumenten der Väter rumspielen. Was wir wollten, das war Disco mit der Punk-Energie. Und den Körper in den Vordergrund rücken. „Free your ass and your mind will follow“, wie George Clinton gesagt hat. Funkadelic, das war eine Musik, die ich mochte, damals.
DAF kamen aus Düsseldorf, das in den späten 1970er Jahren schon über einen eigenen Sound verfügte. Der Weg von Neu! und dem minimalistischen Schlagzeugsound Klaus Dingers zu DAF scheint nicht weit zu sein.
Heute weiß ich das zu schätzen. Wir haben später dann ja auch im Studio von Conny Planck gearbeitet. Bands wie Kraftwerk, Neu! oder La Düsseldorf waren damals in Düsseldorf allerdings gar nicht beliebt. Das waren Hippies, und wir waren Punks. Wir sahen das alles als blöde Musik an.

Jürgen Teipel benannte sein Buch „Verschwende deine Jugend“ nach einem Song von DAF. Mit dem Buch waren Sie seinerzeit nicht einverstanden. Wie denken Sie heute darüber?
Einige Zeit habe ich konkret rechtliche Schritte erwogen. Ich fand manches nicht gut: dass er einen Titel von uns verwendet hat, dass wir, als wir mit ihm sprachen, nicht wussten, dass das ein Buch werden sollte. Es gab einige Zitate, die ich zweifelhaft fand. Ich steh’ nicht darauf, wenn mir etwas vorgelogen wird. Aber andrerseits hat
uns das viel Promotion eingebracht. Also ist das alles längst vergeben und vergessen.

Heute gibt es ein ausgeprägtes 80s’-Revival. Nicht nur DAF, auch zahlreiche andere Bands dieser Zeit treten wieder auf und veröffentlichen Platten, viele junge Bands berufen sich auf sie als Vorbilder. Woher kommt das?
Das ist nicht irgendein Revival. Die 1980er Jahre haben eine ganz spezielle Bedeutung für die Musik, die heute gemacht wird. Alles ist in den 1980ern entstanden – der Sampler, der Synthesizer. Die 1980er waren die
Stunde null des Jahres 2000. Schon 2003 wurde gesagt, das ist nun ein 1980er-Revival. Es ist ein Muster, das seit zehn Jahren benutzt wird, um den Pop-Korpus zu penetrieren.

Gibt es Musiker, von denen DAF selbst beeinflusst wurden?
DAF haben immer jeden Einfluss vermieden. Wir haben immer alles weggeworfen, wenn es uns an etwas erinnert hat. Wir wollten immer nur Stücke machen, die man noch nicht kannte, die an nichts erinnerten.

Kann heute, in einer Zeit, in der eigentlich nur noch Retro- und Zitate-Pop produziert wird, eine solche Herangehensweise überhaupt noch funktionieren?
Natürlich. Ein Synthesizer ist wie ein weißes Blatt. Wenn einer sagt: Ich mache Computermusik, dann kann das alles bedeuten. Je verbrauchter die Töne sind, desto wilder experimentieren die jungen Männer.

Welche Musik finden Sie selbst interessant, im Jahr 2011?
Es gibt unglaublich viel gute Musik, obskures Zeug. Und es gibt natürlich auch Welten, in denen Musik viel besser funktioniert als in unserer – im lateinamerikanischen Raum zum Beispiel, in New York. Im Augenblick gefällt mir der Rapper Busdriver sehr gut.

Wie sieht heute ein Konzert von DAF aus?
Pure Elektronik, wie sie ist, das Schlagzeug live, und ich singe. Es ist alles sehr unmittelbar. Ich mache so ziemlich genau das, was mir einfällt. Ich habe einen unheimlich guten Wortkatalog. Ich kann aufspringen und ein Programm abliefern, auch auf Zuruf, zu beliebigen Themen. Deutsch und Spanisch sind die Sprachen die ich sehr gut spreche,
ich liebe beide Sprachen, das Deutsche, weil es so viele Konsonanten hat, und das Spanische, weil es so viele Vokale hat.

In einem Interview vor einigen Jahren sagten Sie, die Musik von DAF sei immer aktuell. Worin besteht die Aktualität von DAF heute?
DAF ist die modernste Musik mit den modernsten Texten, die man hören kann. Die Medien haben heute überhaupt kein Interesse mehr daran, überhaupt etwas Neues herauszubringen. Deshalb wird es immer einfacher für DAF, aktuell zu sein.

Stuttgarter Nachrichten, 15. März 2011
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